28.05.

2024

Traum-Mord oder Mords-Traum

Die meisten von uns killen ihre Berufsträume. Mordmotive: Existenzängste, Vernunftansichten, Erwartungen anderer.

Kai kam mit hängenden Schultern und leichtem Gepäck zu mir.

„Ich will nur noch ein Unternehmen, in dem ich weniger frustriert meinen Job mache, genug Kohle verdiene und dann ist gut.“

Soweit zu seinem Anliegen.

Das Blöde für Kai in unserem Gespräch: Ich stellte Fragen. Gehört zu meinem Beruf. Fragen, auf die er einsilbig antwortete. Fragen, auf die er genervt antwortete. Ich musste schließlich verstehen, was dieser Ingenieur tut.

Und plötzlich gestand er mir, nein, sich selbst, dass er seinen Traumberuf längst begraben hat. Vorsichtig grub ich ihn wieder aus.

„Mich interessiert nicht, ob es Vorsatz oder Notwehr war. Mich interessiert, wie dieser Traum aussah, als er noch gelebt hat. Erzähl mir davon.“

Kai antwortete: „Erfinder sein, Gegenstände aus recyceltem Material herstellen, zum sinnvollen Gebrauch, nicht kaputt zu kriegen und schick obendrein.“

Ich: „Aha.“

Kai: (schaute mich an)

Ich: „Klingt doch mega! Warum tust Du es nicht?“

Kai: „So was will doch keiner.“

Ich: „Ist das hundertprozentig erwiesen?“

Kai (genervt): „… Nein.“

Ich: „Wie findest Du heraus, ob es Bedarf dafür gibt?“

Kai (schreiend): „JA, HABS KAPIERT, in dem ich es TUE! Aber das wird sowieso nicht klappen. Dafür brauch ich Geld. Das hab ich nicht!“

Ich: „Welche anderen Wege gibt es, hier zu investieren?“

Beim Beantworten der Fragen beobachtete ich Kai, wie er selbst seine hartnäckigen Wenns und Abers ohrfeigte.

Kai: „Na toll, dann hab ich endlich Mitstreiter, passende Unternehmen oder Investoren gefunden. Dann brauch ich aber noch ne Location und Kunden. Das dauert ja eeeewig!“

Ich: „Äh. Ja! Das dauert. So was geht nur Schritt für Schritt. Wenn Du nicht bereit bist, das in Kauf zu nehmen, ist Dein Traum vielleicht nicht stark genug?“

Kai: „Dochchchchch! Aber es braucht so viel, bevor ich loslegen kann. Das kostet Zeit. Und Nerven. Und Energie. Und was, wenn es doch nicht klappt?“

Ich: „Okay, Du liebst Horrorszenarien. Was genau würde Dir passieren, wenn es nicht klappt? Löst Du Dich dann in nichts auf?“

Kai: „Nö.“

Ich: „Verweigert Dein Gehirn Dir Gedanken für neue Ideen oder andere Wege?“

Kai: „Wenn mich nicht der Schlag trifft, wohl nicht. Aber was sollen die anderen von mir denken?“

Ich: „Wie wichtig ist Dir, was andere von Dir denken? Und was wenn andere bewundernd von Dir sprechen: ja, der Kai, der hat Eier! Der hat es wenigstens versucht!?“

Kai: „Hm. Klar, es könnte klappen. Aber es könnte auch nicht klappen.“

Ich: „Kurz vorm Orgasmus hörst Du ja auch nicht einfach auf, oder? Zumindest hoffe ich das für Dich. Und bis man soweit ist, hat man schon jede Menge investiert – Candlelight-Dinner, Komplimente, sich aufbrezeln und so weiter. Die Motivation ist das Wissen um das Glücksgefühl, das Dich erwartet.“

Kai ist jetzt mit zwanzig Leuten in ein Fabrikgebäude gezogen. Als freiberuflicher Produktentwickler. Inzwischen ernährt er sich nicht mehr von Dosenravioli. Sein Mord ist zwar noch nicht verjährt, doch zum Glück können Träume zum Leben erweckt werden. Außerdem ist bis heute nicht klar, ob er aus Affekt oder Vorsatz gehandelt hat. Kai ist inzwischen wieder zurechnungsfähig.

Die Mordermittlungen werden eingestellt.

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